Berlins Linke im Wahlkampf: „Wagenknecht ist wichtig für die Linke“
Interview mit Alexander King, veröffentlicht im Tagesspiegel vom 10.10.2022
Alexander King sitzt für die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus. Ein Gespräch über Spaltung,
Wirtschaftssanktionen gegen Russland – und Zuspruch von rechts
Herr King, auf Berlin könnte eine Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl zukommen. Angesichts der Krise ihrer Partei:Was bedeutet das für die Berliner Linke?
Eine Chance: Wahlkämpfe sind eine gute Gelegenheit, sich auf die eigenen Stärken, auf das gemeinsam Erreichte und das Verbindende zu besinnen. Ich würde mir das sehr wünschen und glaube auch, dass das gelingt.
Für die Linke ist Rot-Grün-Rot die einzige Machtoption. Glauben Sie an eine Neuauflage?
Das hoffe ich sehr. Denn die Koalition hat ja bereits gute Dinge angestoßen: Berlin war das erste Bundesland, das ein eigenes Entlastungspaket geschnürt hat. Die Koalition ist darauf vorbereitet, Bundeshilfen mit eigenen Darlehen- und Zuschussprogrammen für kleine und mittlere Unternehmen zu ergänzen. Wir bereiten einen Härtefallfonds vor. Auf Bundesebene haben wir uns für Gaspreisdeckel und Extra-Gewinnsteuer eingesetzt. Außerdem muss es weitergehen mit der Rekommunalisierung der Energienetze. Wir sehen jetzt, wie wichtig das ist, die Energieversorgung in öffentliche Hand zu bekommen.
Zuletzt brachte der Streit um die Sanktionspolitik gegen Russland – befeuert durch eine Rede von Sahra Wagenknecht im Bundestag – die Linke an den Rand der Spaltung. Halten Sie die Kontroverse für berechtigt?
Ich lehne es ab, eine Spaltung herbeizureden. Ich kann die Debatte um die Plenarrede von Frau Wagenknecht so nicht nachvollziehen. Meiner Meinung nach hat sie nichts gesagt, was nicht von unserer Programmatik und Beschlusslage gedeckt wäre. Ich fand die Rede gut und viele andere fanden die Rede auch gut.
Innerhalb der Partei sehen das viele anders, ein Parteiausschluss von Wagenknecht wird debattiert – auch in Berlin. Sie halten das für Quatsch?
Die Kritik an Sahra Wagenknecht ist meines Erachtens in der Sache falsch und auf der Ebene des persönlichen Umgangs teilweise problematisch. Ich glaube nicht, dass uns die Rede geschadet hat. Man muss auch mal den Blick ein bisschen nach außerhalb der eigenen Blase richten und sich fragen, wie die Rede in der Bevölkerung ankam. Da kann ich nur sagen:
Sie kam sehr gut an und ich bin überzeugt davon, dass sie vielen aus dem Herzen gesprochen hat.
Die Parteiführung agiert also gegen die eigene Basis?
Sahra Wagenknecht ist die beliebteste Politikerin in Ostdeutschland, liegt deutschlandweit unter den Top 5. Sahra Wagenknecht hat eine enorme Popularität und ist total wichtig für die Linke. Sie trifft mit ihrer Kritik an der Bundesregierung genau ins Ziel. Das finden die Leute gut und das sehen auch viele Mitglieder so. Ich hielte es deswegen für vollkommen falsch, sie an den Rand zu drücken.
Im Bundestag sprach Wagenknecht von einem „beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten“, nannte die Sanktionspolitik gegenüber Russland „bescheuert“. Teilen Sie diese Aussagen?
Dass die Sanktionspakete eine Reaktion auf den Angriffskrieg Putins auf die Ukraine sind, ist klar und wird nicht bestritten, auch nicht durch Frau Wagenknecht. Zutreffend ist aber auch, dass der Westen sehr umfangreiche Sanktionspakete erlassen hat, die nicht erst Frau Wagenknecht als „Wirtschaftskrieg“ bezeichnet hat, sondern vor ihr auch schon andere, etwa der „Spiegel“. Außenministerin Baerbock sprach davon, Russland ruinieren zu wollen. Ob die Sanktionen auch dazu führen, den Krieg zu beenden, kann man aber durchaus in Frage stellen. Diese Diskussion finde ich völlig legitim, zumal unser Programm sagt, dass wir Wirtschaftssanktionen, die vor allem die Bevölkerung treffen, ablehnen.
Sind Sie für ein Ende der Sanktionen?
Wirtschaftssanktionen, die sich gegen die Rüstungsindustrie oder die Herrschenden in Russland richten, finde ich richtig. Allgemeine Sanktionen, die vor allem die Bevölkerung treffen, halte ich nicht für sinnvoll. Das kann man den Menschen, die die Last tragen, nicht einfach so überhelfen. Menschen, die genau die Debatte aufmachen, als Putinversteher zu verunglimpfen, hilft nicht weiter.
Während viele Linke Sahra Wagenknecht aus der Partei verdammen wollen, wird sie von der extremen Rechten gefeiert. Ebnet Wagenknecht den Weg für eine Querfront?
Dass Sahra Wagenknecht Zuspruch von rechts bekommt, ist eine Unterstellung. Natürlich gibt es taktischen Zuspruch, der darauf angelegt ist, die Linke zu spalten und sich das Protestpotenzial der Linke anzueignen. Darauf sollten wir nicht hereinfallen.
Nehmen wir die Forderung nach einem Ende der Sanktionen: Die teilen Wagenknecht und AfD.
Das allein kann aber nicht der Maßstab sein, zumal sich Frau Wagenknecht bei jeder Gelegenheit distanziert. Erstmal müssen wir klären, ob die Position richtig oder falsch ist. Wenn wir nur noch gucken, wer was sagt und uns allein daran ausrichten, haben wir keine ernsthafte Debatte mehr.
Der Querfront-Vorwurf verengt den Diskussionsraum?
Das spielt eine Rolle und ärgert mich. Natürlich muss immer klar sein, dass wir die AfD ablehnen und politisch bekämpfen. Eine Zusammenarbeit mit Rechten darf es nie geben. Aber häufig wird der Querfront-Vorwurf auch zu Unrecht erhoben, um Kritik an der Bundesregierung in ein falsches Licht zu rücken.
Die Berliner Linke hat auf ihrem Parteitag Ulrich Schneider, der die Partei im Anschluss an die Plenarrede verlassen hatte, sprechen lassen und für seine Rede gefeiert. Haben Sie mitgeklatscht?
Die Idee, ein gerade ausgetretenes Ex-Mitglied quasi einzuladen, auf dem Parteitag die Kontroverse noch einmal hochzuziehen, fand ich nicht gut. Das hat nichts mit Ulrich Schneider zu tun, das ist ein hochverdienter Mensch, den wir alle schätzen. Ich fand es aber dennoch unglücklich und nicht unbedingt einen Beitrag zum stärkeren Zusammenhalt.
Ist dieser Zusammenhalt auch in Berlin ernsthaft bedroht? Wie groß ist das Lager derer, die Wagenknecht verteidigen?
Der Berliner Landesverband ist relativ geschlossen und ich bin auch der Meinung, dass der aktuelle Landesvorstand und der Landesgeschäftsführer glaubhaft versuchen, die ganze Breite der Partei mitzunehmen. Es gibt keinen Kurs, der auf Konfrontation und Ausschluss angelegt ist. Das ist gut so. Denn selbstverständlich gibt es in der Mitgliedschaft genauso wie
unter unseren Wählern viele, die die Positionen von Frau Wagenknecht teilen, ohne dass ich das jetzt exakt quantifizieren könnte. Sicherlich ist das von Bezirk zu Bezirk auch unterschiedlich.
Sollte Sahra Wagenknecht die Linkspartei verlassen: Gehen Sie mit?
Das ist nichts, worüber ich nachdenke. Wichtig ist jetzt, dass sich die Linke zusammenrauft und ihre Rolle in einer Zeit, in der sie dringend gebraucht wird, ausfüllt. Genau so, wie wir das in Berlin machen. Die Linke ist in Gerechtigkeitsfragen gut aufgestellt und Schrittmacher in der Debatte, siehe Gaspreisdeckel und Extra-Gewinnsteuer. Darauf sollten wir uns konzentrieren, anstatt überflüssige Kontroversen zu führen.
Das Gespräch führte Robert Kiesel