Alexander King: Die Linke ist alleine nicht mehr in der Lage, das linke Wählerpotenzial abzudecken

Ramon Schack, Berliner Zeitung
Alexander King

Der Berliner Abgeordnete tritt aus der Linken aus, um Sahra Wagenknecht zu folgen. Im Interview erklärt er die Gründe, die ihn zu dieser Entscheidung geführt haben.

Alexander King im Interview mit Ramon Schack, veröffentlicht in der Berliner Zeitung

Alexander King, Sie haben heute Ihren Austritt aus der Partei die Linke erklärt, nach über 25 Jahren Mitgliedschaft. War dieser Schritt von langer Hand geplant, oder erfolgte dieser spontan, initiiert von dem Austritt der Bundestagsabgeordneten um Sahra Wagenknecht?

Weder noch. Er ist das Ergebnis eines Prozesses. Letztlich hat den Ausschlag gegeben, dass die Parteiführung der Linken keinerlei Nachdenken über die Ursachen für die schwachen Wahlergebnisse erkennen ließ und stattdessen die Schuld ausschließlich woanders suchte. Diese Unfähigkeit zur Selbstkritik ist gefährlich. Die politische Entwicklung in Deutschland steht nämlich Spitz auf Knopf.

Sahra Wagenknechts Überlegungen sind richtig, für Menschen, die von keiner Partei mehr angesprochen werden, aber für linke Politik zu gewinnen wären, ein notwendiges politisches Angebot zu schaffen.

Wird dieser Austritt begleitet, von einem Eintritt in das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW)?

Ja, ich bin Mitglied im Verein Bündnis Sahra Wagenknecht.

Für politische Beobachter ist es sicherlich keine Überraschung, dass Sie dem Wagenknecht-Lager zuzurechnen sind. Sie sind einer der Organisatoren der Friedensdemonstration am Brandenburger Tor im Februar dieses Jahres, Frau Wagenknecht, wie auch Frau Mohamed Ali, haben Sie öfter öffentlich unterstützt, bei Ihren Büroeröffnungen und im Wahlkampf beispielsweise. Befürchten Sie aber nicht trotzdem, eine Aufspaltung des linken Wählerpotenzials?

Im Gegenteil. Die Linke ist alleine nicht mehr in der Lage, das linke Wählerpotenzial abzudecken. Die Landtagswahlen in Hessen haben das noch mal gezeigt. Insofern halte ich das BSW für eine notwendige Ergänzung, um wirklich wieder alle zu erreichen, die mit der herrschenden Politik unzufrieden sind und sich eine sozialere, wirtschaftlich und außenpolitisch vernünftigere Politik wünschen. Erste Umfragen zeigen ja, dass dem BSW das gelingen könnte.

Nach den Austritten der Gruppe um Wagenknecht im Bundestag – hat Parteichef Martin Schirdewan die zehn ausgetretenen Bundestagsabgeordneten erneut dazu aufgerufenen, „ihre durch die Linke errungenen Mandate“ zurückzugeben. Andernfalls wäre dies ein „höchst unmoralischer Diebstahl“. Fühlen Sie sich auch als „Dieb“, da Sie ja jetzt das Gleiche im Abgeordnetenhaus vollzogen haben?

Ich kann diese Reaktion emotional gut verstehen. Sie ist aber nicht ehrlich. Die Linke hatte noch nie etwas dagegen, wenn Mandatsträger anderer Parteien mitsamt ihrem Mandat zu ihr wechselten. In der Berliner Bezirkspolitik kam das zuletzt vor. Übertritte wurden sogar mit Posten belohnt. Früher gab es das hier und da auch auf Landesebene. Übrigens gilt dasselbe natürlich auch für alle anderen Parteien. Mir scheint, auch mit Blick auf den wenig beachteten Fraktionswechsel des MdB Lutze von der Bundestagsfraktion der Linken zur SPD, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird.
Das freie Mandat ist grundgesetzlich geschützt. Es ist allerdings trotzdem durchaus möglich, dass ich mein Mandat im nächsten Jahr aufgebe. Ich mache das aber nicht von den Forderungen der Linken abhängig, sondern davon, ob ich auch als fraktionsloser Abgeordneter mein Mandat im Sinne meiner Kandidatur und im Interesse der Wähler ausfüllen kann.

Wird es weitere Austritte aus der Linken – beispielsweise auf der BVV-Ebene – in ihrem Bezirk Tempelhof-Schöneberg geben?

Das kann ich nicht vorwegnehmen. Ich weiß, dass sehr viele Mitglieder im Bezirksverband die Positionen von Sahra Wagenknecht unterstützen. Wie viele davon jetzt austreten und sich einer neuen Partei anschließen werden, kann ich natürlich nicht voraussagen. Auf unserer letzten Mitgliederversammlung gab es dazu unterschiedliche Aussagen. Ich rechne damit, dass es durchaus einige sein werden. Über die BVV-Ebene entscheidet die Fraktion in Abstimmung mit dem Bezirksvorstand.

Was dürfen Ihre Wählerinnen und Wähler im Bezirk Tempelhof-Schöneberg von Ihnen zukünftig erwarten? Werden Sie versuchen, auch andere Milieus zu erreichen, beispielsweise durch eine veränderte Programmatik?

Ich war über 20 Jahre Mitglied des Bezirksverbands Die Linke Tempelhof-Schöneberg, davon zwölf Jahre im Bezirksvorstand, davon fünf Jahre als Vorsitzender. Zweimal habe ich als Direktkandidat den Bundestagswahlkampf im Bezirk angeführt. Das heißt, die Politik der Linken im Bezirk trug in den letzten Jahren schon deutlich meine Handschrift. Die politische Ansprache der Linken in unserem Bezirk legte schon von jeher den Schwerpunkt auf soziale Fragen und Friedenspolitik.

Ich werde den Schwerpunkt meiner Wahlkreisarbeit weiter in den Süden des Bezirks verlagern. In Marienfelde habe ich mein Wahlkreisbüro, in Lichtenrade unterstütze ich zudem einige lokale Projekte. Ich strebe dabei an, weiterhin mit der Linksfraktion in der BVV zusammenzuarbeiten. Rund um das Thema Meinungsvielfalt habe ich außerdem in der Zeit der Pandemie und dann anlässlich der Debatte um den Krieg in der Ukraine einen kritischen Gesprächskreis in Tempelhof etabliert. Mir ist wichtig, das Feld für freie Debatten wieder zu öffnen. Ich habe darüber auch in der Berliner Zeitung geschrieben. Diese Arbeit werde ich fortsetzen. Sie entspricht einem wesentlichen Anliegen des BSW.

Demoskopen und Politologen attestieren der entstehenden Partei, wie immer diese auch heißen mag, ein beachtliches Wählerpotenzial. Teilen Sie diese Einschätzungen und wenn ja, wie wird sich dieses auf die politische Landschaft in Berlin zukünftig auswirken?

Ich bin kein Demoskop. Ich lese die Umfragen und bekomme viele Rückmeldungen aus dem persönlichen Umfeld. Diese deuten darauf hin, dass in der Tat viele Menschen auf eine Wagenknecht-Partei gewartet haben. Wenn ich an meinen Bezirk denke, hoffe ich, dass wir mit der neuen Partei diejenigen erreichen, die zuletzt gar nicht mehr oder aus Protest, aber ohne innere Überzeugung leider rechts gewählt haben, gerade in den Großwohnsiedlungen, wo viele Menschen mit den bestehenden Verhältnissen zu Recht unzufrieden sind.

Betrachten Sie Ihren Austritt auch als eine Art persönliche Befreiung?

Nein. Ich habe keinen Groll gegen Die Linke, schon gar nicht gegen Personen in der Linken. Meine politischen Überlegungen habe ich dargelegt. Persönliche Befindlichkeiten spielen keine Rolle bei diesem Schritt.

Vielen Dank, Herr King.

Zum Artikel in der Berliner Zeitung